FVN-Vertreter im DFB-Pokal

RWE-Trainer Christian Neidhart: "Der totale Wahnsinn, wie das bisher gelaufen ist!"

Niederrheinpokalsieger Rot-Weiss Essen steht im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Kiel. Möglich gemacht hat dies das 3:1 gegen Oberligist Kleve im August 2020.
12. Februar 2021 Herrenfußball | GlobalText: Thomas Palapies-Ziehn
RWE-Trainer Christian Neidhart:
Bildquelle: Imago Images
Christian Neidhart ist seit dieser Saison Trainer von Rot-Weiss Essen. Er startete mit dem Sieg im Niederrheinpokal. Aktuell belegt er mit RWE Rang zwei in der Regionalliga West und steht völlig überraschend im Viertelfinale des DFB-Pokals. Dort geht es am 3. März gegen Zweitligist Holstein Kiel.

Niederrheinpokalsieger Rot-Weiss Essen hat schon jetzt ein Stück Fußball-Geschichte geschrieben. Als einer von nur wenigen Viertligisten steht der aktuelle Tabellenzweite der Regionalliga West im Viertelfinale des DFB-Pokals. Weiter ist bisher nur der 1. FC Saarbrücken gekommen, der in der vergangenen Saison im Halbfinale (0:3 gegen Bayer Leverkusen) stand. Die seit dieser Saison von Christian Neidhart (52) trainierten Essener erreichten die Runde der letzten acht Mannschaften dank Erfolgen über Bundesliga-Aufsteiger Arminia Bielefeld (1:0), den benachbarten Zweitligisten Fortuna Düsseldorf (3:2) und Champions League-Anwärter Bayer 04 Leverkusen (2:1 nach Verlängerung). Im Viertelfinale geht es am 3. März ab 18.30 Uhr gegen Zweitligist Holstein Kiel. FVN.de sprach mit RWE-Trainer Christian Neidhart.

Rot-Weiss Essen steht im Viertelfinale des DFB-Pokals. Wenn Ihnen das jemand bei Ihrem Amtsantritt Mitte Juli prophezeit hätte, hätten Sie es für möglich gehalten, Herr Neidhart?

Christian Neidhart: „Kein Stück! Es ist schon der totale Wahnsinn, wie das alles bisher gelaufen ist. Ich bin sehr stolz auf unsere Mannschaft. Man muss sich das einmal vorstellen: Wir haben im Achtelfinale mit Bayer Leverkusen eine Spitzenmannschaft aus der Bundesliga 2:1 bezwungen und dabei in der Verlängerung einen Rückstand aufgeholt. Ein paar Tage nach diesem Spiel hat Leverkusen einen 5:2-Kantersieg gegen den VfB Stuttgart gelandet. Das hat unseren Erfolg für mich sogar noch einmal aufgewertet.“

Gegner im Viertelfinale ist Zweitligist Holstein Kiel. Wie schätzen Sie die Chancen ein?

Neidhart: „Die Kieler haben auf ihrem Weg in das Viertelfinale den FC Bayern München ausgeschaltet. Ich glaube nicht, dass sie jetzt ausgerechnet gegen RWE aus der 4. Liga ausscheiden wollen. Der Qualitätsunterschied ist nicht wegzudiskutieren. Holstein Kiel gehört zur Spitzengruppe der 2. Liga. Aber die Entscheidung fällt erneut in nur einem Spiel. Und da ist alles möglich, wenn wir das nötige Spielglück auf unserer Seite haben.“

In der vergangenen Saison war der 1. FC Saarbrücken als erster Viertligist überhaupt in das Pokal-Halbfinale eingezogen. In einem Spiel scheint also selbst für die vermeintlich „Kleinen“ nach wie vor alles möglich zu sein.

Neidhart: „Es gibt in nahezu jeder Pokal-Saison eine Überraschungsmannschaft. Wir sind sehr froh, dass diesmal wir es sind. Dass unterklassige Mannschaften für Furore sorgen können, macht den Wettbewerb aus. Uns haben die bisherigen Erfolge jedenfalls hungrig und gierig gemacht, die Geschichte vielleicht noch um weitere Kapitel zu ergänzen.“

Bielefeld, Düsseldorf, Leverkusen: Welcher der bisherigen Erfolge im DFB-Pokal 2020/2021 hat Sie selbst am meisten überrascht?

Neidhart: „Das war ganz klar der jüngste Sieg über Leverkusen. Wir wussten, dass es kaum möglich sein würde, gegen diese geballte Offensiv-Power nichts zuzulassen. Glücklicherweise hat Leverkusen die teils hochkarätigen Chancen nicht konsequent genutzt. Nach dem Führungstreffer durch Leon Bailey kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit in der Verlängerung haben sich die Leverkusener dann wohl etwas zu sicher gefühlt. Wir konnten die kurze Unterbrechung nutzen, um uns gemeinschaftlich noch einmal neu einzuschwören. Das war ein Schlüssel, um die Partie doch noch zu drehen.“
 

Die Höhepunkte der Partie RWE - Leverkusen gibt's hier im Video auf DFB-TV (2 x klicken):


RWE steht dank des Viertelfinal-Einzugs aktuell im bundesweiten Fußball-Schaufenster. Wie macht sich das bei Ihnen bemerkbar?

Neidhart: „Das Medieninteresse hat deutlich zugenommen. Wenn ich dachte, es würde etwas ruhiger, kamen weitere Anfragen. Aber wir nehmen das selbstverständlich gerne mit. Es ist doch schön, so im Fokus zu stehen.“

In der Regionalliga West liegt RWE als Tabellenzweiter aussichtsreich im Rennen um den Aufstieg in die 3. Liga. Was wäre Ihnen lieber: Ein Sieg gegen Kiel oder der Aufstieg?

Neidhart: „Die Frage ist schwierig zu beantworten, weil die Wertigkeiten der Wettbewerbe unterschiedlich sind. In ein DFB-Pokalhalbfinale oder gar ins Endspiel kommen die meisten Fußballer - wenn überhaupt - vielleicht nur einmal in ihrem Leben. Der Aufstieg wäre nachhaltiger und für die Entwicklung unseres Vereins sicher noch wichtiger. Ich bin ein ehrgeiziger Typ: Daher nehme ich am liebsten den Sieg gegen Kiel und den Aufstieg.“ (lacht)

Wie sehr schmerzt es, dass die Fans die Spiele nur vor dem Fernseher verfolgen können?

Neidhart: „Sehr! Es wäre noch schöner gewesen, die Pokal-Abende an der Hafenstraße mit unseren Fans zu erleben. Gerade in solchen Spielen saugen doch alle Beteiligten die Stimmung förmlich auf. Die Zuschauer und die Anfeuerung von den Rängen: Das fehlt alles. Und ich hoffe sehr, dass wir so bald wie möglich wieder volle Stadien sehen, wenn es die Situation rund um die Corona-Pandemie erlaubt.“

Angefangen hatte die Pokal-Reise im vergangenen August mit dem Sieg im Niederrheinpokal durch ein 3:1 gegen den 1. FC Kleve. Sie waren zu dem Zeitpunkt erst wenige Wochen im Amt. Welche Bedeutung hatte der Titel für den weiteren Saisonverlauf?

Neidhart: „Der Sieg war total wichtig. Zumal wir gegen den Oberligisten 1. FC Kleve der klare Favorit waren und jeder einen Erfolg von uns erwartet hatte. Die Mannschaft war unmittelbar nach Abpfiff daher gar nicht einmal so euphorisch. Ich habe unseren Spielern dann deutlich gesagt, dass ein Titel im Fußball nie eine Selbstverständlichkeit ist. Unter dem Strich war der Sieg im Niederrheinpokal, der wegen Corona ja erst im Sommer und damit vor der aktuellen Spielzeit feststand, ein positiver Startschuss in die Saison, der durchaus für Rückenwind gesorgt hat. Und ohne ihn würden wir uns schließlich auch nicht auf das Duell mit Holstein Kiel freuen dürfen.“