Essen ist Champions-League-Sieger: Von dieser sensationellen Schlagzeile träumen ganz optimistische Fans des Regionalligisten Rot-Weiss Essen, früher mit dem legendären Willi „Ente“ Lippens in der Bundesliga am Ball und 1955 sogar Deutscher Meister, wohl schon eine Ewigkeit.
Die Anhänger von der Hafenstraße müssen nicht länger warten, sie können es hier lesen: Essen ist tatsächlich Champions-League-Sieger, sogar im Fußball – allerdings ist es der GTSV, der den Titel an die Ruhr geholt hat, und nicht RWE. Gehörlosen-Turn- und Sport-Verein 1910 Essen e.V. lautet der komplette Name des Vereins, und es sind die gehörgeschädigten Futsal-Kickerinnen, die den wichtigsten Pokal in ihrer Sportart in die Höhe stemmen durften – nun schon zum zweiten Mal hintereinander.
Im folgenden Interview erklärt Trainerin Laura Hesseln, die wegen ihrer Horschädigung die Fragen per E-Mail beantwortete, was Ihre Spielerinnen auszeichnet und wie der Triumph im italienischen Vigevano gefeiert wurde.
Frau Hesseln, was bedeutet Ihnen und Ihrem Team der erneute Gewinn der Champions League, konkret der European Deaf Champions League Futsal?
Laura Hesseln: Das bedeutet uns sehr viel! Bisher hat ja auch noch keine Damenmannschaft den Pokal zweimal hintereinander gewonnen. Für einige unsere Spielerinnen war es sogar das erste Mal. Wir haben also Geschichte geschrieben und das macht uns stolz. Diesmal haben wir auch insgesamt besser gespielt als bei der letzten DCL.
Kann man sagen, dass der GTSV Essen das beste weibliche Gehörlosen-Futsal-Team der Welt ist? Oder gibt es außerhalb Europas noch andere Teams, die möglicherweise stärker sind und mit denen Ihr Euch einmal messen möchtet?
Momentan sind wir sicher das beste Team Europas, ja, aber der Welt? Wir haben keine Vergleichsmöglichkeiten und leider wissen wir auch nicht, ob in den anderen Kontinenten DCL durchgeführt wird. Wir veranstalten keine Klub-WM, wie bei den Hörenden auf dem Großfeld der Fall ist. Brasiliens Frauen zum Beispiel wurde im November 2019 Weltmeister, für mich sind sie als Nationalmannschaft sehr stark. Falls sie ebenfalls in einem Verein spielen, dann würden wir uns sehr gerne mit ihnen messen. Sie haben Futsal im Blut.
Wie verliefen die Spiele in Italien, wart Ihr direkt gut im Turnier und wer waren die stärksten Gegner?
Auch wenn einige Sporthallen nicht ganz den Richtlinien entsprach und bis zur Viertelfinale nur 2 mal 20 Minuten ohne Zeitstopp gespeilt wurde, sind wir gut ins Turnier gestartet und haben sogar einen 15:1-Sieg gegen Paris eingefahren. Im dritten Gruppenspiel waren wir nicht so gut drauf und haben 1:3 gegen das Team aus Warschau verloren. Ich würde sagen, der Knackpunkt war das Viertelfinale gegen den GSG Stuttgart. Da mussten wir bis zum Sechs-Meter-Schießen zittern, ehe unsere Torhüterin Anna Jegminat den letzten Schuss der Stuttgarterinnen parieren konnte. Ab dann stieg unser Selbstvertrauen und wir konnten im Halbfinale gegen Stockholm und im Finale gegen Altatorre so richtig unser Spiel durchziehen. Die Ergebnisse lauteten 5:1 und 7:3.
Wie habt Ihr den Sieg anschließend gefeiert?
In der Kabine haben wir ein wenig gefeiert, ehe im Anschluss an unseren Wettbewerb das Herren-Finale und die Siegerehrung anstand. So durften wir erst am Abend den Pokal in die Höhe stemmen. Vor der internationalen Party haben wir dann noch schnell bei McDonalds gefeiert. Etwas unkonventionell, aber bei uns ist alles möglich...
Melissa Gracic wurde zur besten Spielerin gekürt, sie hat auch die meisten Tore erzielt. Was bedeuten die Auszeichnungen für sie?
Man muss den Hut vor Melissa Gracic ziehen, sie hat das Jahr über, wie einige andere Spielerinnen, hart trainiert. Bei der letzten WM konnte sie ihre Leistung nicht vollständig zeigen, deshalb freuen wir umso mehr, dass es diesmal bei uns geklappt hat. Wenn das Team sie unterstützt und gut füttert, dann dankt sie es mit Toren und guten Leistungen zurück. Ebenso freuen wir uns sehr, dass unsere erst 17-jährige Amanda Wysocka als beste U 21-Spielerin ausgezeichnet wurde. Sie hat sechs Tore erzielt, das ist auch beachtenswert. Und auch wenn unsere Torhüterin Anna Jegminat nicht in die Top 3 berufen wurde: Wir vom GTSV sind der Meinung, dass sie sehr gut war, wenn man bedenkt, dass sie erst seit einem Jahr im Tor steht. Für mich als Trainerin zählt insgesamt aber mehr, wie die Spielerinnen als Mannschaft auftreten und jede ihre eigene Leistung steigern konnte.
Wie lange gibt es schon das Futsal-Frauen-Team beim GTSV Essen, wie oft trainiert Ihr und spielt Ihr auch draußen auf dem Feld Fußball? Falls ja, wo und in welcher Liga?
Das GTSV-Team gibt es seit 2007, damals haben wir noch ‚normalen‘ Hallenfußball gespielt. Als dann Futsal eingeführt wurde, wurde auch bei den Gehörlosen-Meisterschaften nach den Futsal-Regeln gekickt. Und als 2012 die Futsal-Regionalliga der Frauen gegründet wurde, wollten wir dort von Anfang an dabei sein und spielen dort bis jetzt noch. Bei den jährlichen Deutschen Meisterschaften der Gehörlosen nehmen wir auf dem Kleinfeld teil. Meisterschaften auf dem Großfeld gibt es aufgrund fehlender Spielerinnen leider nicht mehr. Auch bei uns konzentrieren sich viele nur auf Futsal. Wir trainieren einmal pro Woche in der Halle, ansonsten erhalten die Spielerinnen einen Trainingsplan für zu Hause. Gerne würden wir lieber zweimal in der Woche trainieren, aber leider bekommen wir in Essen keine zusätzliche Halle beziehungsweise keinen weiteren Trainingstag.
Sind alle Spielerinnen im Team gehörgeschädigt oder seid Ihr auch offen für 'normal' hörende Frauen und Mädchen?
Wir sind alle hörgeschädigt, die meisten aber gehörlos. Es gab in der Vergangenheit die eine oder andere hörende Spielerin, die bei uns zur Probe war, aber irgendwie hakte es bei den Hörenden an der Kommunikation oder die Hemmschwelle ist noch zu hoch. Wir würden uns aber natürlich darüber freuen, wenn hörende Spielerinnen bei uns mitspielen wollen.
Auszeichnungen beim Turnier:
Beste Spielerin: Melissa Gracic (GTSV Essen)
Beste Spielerin unter 21: Adelina Worseck (GTSV Essen)
Beste Torschützin: Melissa Gracic (10 Tore, GTSV Essen)