Sie sind zwei der Experten im Fußballverband Niederrhein (FVN), wenn es um die neuen Spielformen im Kinderfußball geht: Phil Priem, im Verbandsjugendausschuss zuständig für Aufgaben und Projekte im Kinder- und Jugendfußball, sowie Verbandssportlehrer Udo Hain sind maßgeblich beteiligt, wenn es um die neuen Spielformen geht. Wie sind ihre bisherigen Erfahrungen? Was finden sie persönlich gut daran? Das erklären Phil Priem und Udo Hain in folgendem Gespräch.
Mehr Begeisterung, mehr Ballkontakte, mehr Erfolgserlebnisse, mehr Kreativität: Dafür sollen die neuen Spielformen im Kinderfußball sorgen. Wie ist Ihr Eindruck, Herr Priem? Halten die Spielformen, was sie versprechen?
Phil Priem: Vor allem an den Tagen des Jugendfußballs in den Fußballkreisen bekommt man hautnah mit, wieviel Spaß die Kinder an den neuen Spielformen haben. Auch für die Eltern ist es entspannter. Reinbrüllen von außen gibt es nicht. Stattdessen herrscht bei den Festivals eine ganz lockere Atmosphäre. Von daher würde ich schon sagen, dass die neuen Spielformen halten, was sie versprechen.
Wie wurden die neuen Spielformen im FVN bisher insgesamt angenommen?
Phil Priem: Einige Kreise sind schon etwas weiter als andere. Das ist aber ganz normal, denn wir befinden uns in einem Prozess. In Grevenbroich/Neuss wird bereits nahezu flächendeckend nach den neuen Spielformen gespielt. In den kommenden Monaten werden wir daran ansetzen, die Verbreitung der neuen Spielformen in allen Kreisen weiter zu erhöhen.
Muss in einigen Bereichen denn auch noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, Herr Hain?
Udo Hain: Niemand kann sich davon frei machen, bei Neuerungen immer auch ein wenig skeptisch zu sein. Ich erinnere mich an die Umstellung von 11er- auf 7er-Mannschaften vor einigen Jahren. Damals ging ein Aufschrei durch Fußball-Deutschland. Heutzutage wird das nicht mehr infrage gestellt. Ich denke, dass das mit den neuen Spielformen ähnlich sein wird. Sie müssen jetzt nach und nach flächendeckend verbreitet werden - und innerhalb einer überschaubaren Zeit werden sie sich auch etabliert haben.
Wie sehen Sie es, Herr Priem?
Phil Priem: Aus meiner Sicht stören sich die meisten daran, dass es eine Veränderung gibt. Da kommt es nicht einmal darauf an, ob man das positiv oder negativ beurteilt. Plötzlich wird - nach einer sehr langen Zeit - Fußball in einigen der unteren Altersklassen anders gespielt und das gefällt nicht jedem. Viele lassen sich aber recht schnell überzeugen, wenn sie die neuen Spielformen einmal in der Praxis erleben. Daher bin ich immer dafür, die neuen Spielformen nicht nur in der Theorie anzugehen sondern immer auch praktisch. Nur dann lassen sich die neuen Spielformen wirklich beurteilen. Es gibt natürlich immer auch Vorurteile: Viele haben im Kopf, dass die neuen Spielformen lediglich ein 3 gegen 3 auf Minitore vorsehen und so von den Bambinis bis zur F-Jugend gespielt wird. Die neuen Spielformen bieten aber ganz unterschiedliche Facetten. Einer der größten Vorteile ist für mich aber, dass kein Kind mehr draußen bleibt. Alle kommen während eines Festivals zum Einsatz
Welche Kritikpunkte bzw. Vorbehalte gegenüber den neuen Spielformen gibt es denn?
Udo Hain: Es sind vor allem die organisatorischen Dinge wie Spielfeldeinteilung, die Zusammenstellung der Mannschaften sowie die Betreuung der einzelnen Spielfelder, die einige als Gründe nennen. Der Aufwand ist auch insgesamt etwas größer. Das will ich gar nicht wegdiskutieren. Aber die Vorteile wiegen die wenigen Nachteile deutlich auf. Die Kinder erzielen mehr Tore, haben mehr Ballkontakte und damit unter dem Strich auch mehr Spaß. Das Fußballerlebnis ist größer und genau das möchte man ja als Trainer.
Lässt sich denn der organisatorische Aufwand irgendwie so gering wie möglich halten?
Udo Hain: Ich kenne Trainer, die haben zum Beispiel alle Materialien in einem Einkaufswagen. Der wird vor dem Training auf den Platz geschoben. Die Eltern wissen Bescheid und bauen in der Zeit auf, in der sich die Kinder umziehen.
Was finden Sie an den neuen Spielformen ganz persönlich besonders gut?
Udo Hain: Mir gefällt unter anderem die geringe Spielerzahl. Jeder, der einmal Hallenfußball gespielt hat, weiß, was es bedeutet, auf kleinem Raum mit wenigen Spielern zu agieren. Der Anspruch an die Fußballtechnik ist viel größer als auf einem großen Platz. Außerdem ist jeder Spieler viel mehr am Geschehen beteiligt. Noch einmal: Das ist das, was jeder Trainer möchte. Ein Beispiel, um gerade diesen Vorteil zu verdeutlichen: Wir haben uns einmal während eines Festivals einen Spieler herausgepickt und dessen Ballkontakte beim 7 gegen 7 sowie beim 3 gegen 3 innerhalb des gleichen Zeitraums gezählt. Danach waren alle überzeugt. Beim 7 gegen 7 waren es 16 Ballkontakte, beim 3 gegen 3 wurden 57 Kontakte gezählt.
Phil Priem: Ich habe es bereits erwähnt. Für mich ist es ein ganz entscheidender Faktor, dass kein Kind mehr draußen bleiben muss. Alle kommen zum Einsatz. Ich kann mich noch gut an meine Zeit als Trainer im Kinderbereich erinnern. Wenn alle zum Spiel kamen, war es unmöglich, allen auch Einsatzzeit zu geben. Das führte regelmäßig zu Diskussionen mit den Eltern. Gerade im Kinderbereich sollte es aber so sein, dass wirklich alle am Spiel teilhaben.
Wird es durch die neuen Spielformen denn tatsächlich einfacher, Spieler auszubilden?
Udo Hain: Ich glaube in jedem Fall, dass sich ein stärkeres Ballgefühl, ein besseres Dribbling, ein besseres 1 gegen 1 und mehr Passqualität entwickeln. Wir reden beim Kinderfußball über eine Phase von sechs Jahren. Wenn ein Kind diese komplette Phase durchläuft, hat er bei den neuen Spielformen im Vergleich zum alten System eine Vielzahl von Ballkontakten mehr - nicht nur im Spiel, sondern auch im Training. Ich bin daher fest davon überzeugt, dass die Qualität insgesamt steigen wird.
Ab der Saison 2024/2025 werden die neuen Spielformen verpflichtend eingeführt. Wie sind die Vereine im FVN dafür aufgestellt?
Phil Priem: Es gibt Vereine, die schon zu 100 Prozent bereit sind. Das heißt, dass nicht nur das Material vor Ort ist. Auch die Trainer sind im Kopf schon voll und ganz auf die neuen Spielformen eingestellt. Die machen das aus Überzeugung. Aber es gibt auch die, die noch überzeugt werden müssen. Daran arbeiten wir.
Häufig wird auch die Anschaffung der erforderlichen Mini-Tore kritisch gesehen.
Udo Hain: Es gibt Vereine, die können sich hochpreisige Tore leisten und Vereine, die mit ihrem Geld sehr genau haushalten müssen. Wir tragen dem Rechnung, indem wir bei der Auswahl der Tore keine Vorschriften machen. Alle Vereine mit Mini-Toren können spielen.
Wie kann der FVN sonst unterstützen?
Phil Priem: Wir haben als Verband zum Beispiel die Möglichkeit, Kurzschulungen direkt in den Vereinen durchzuführen. Hierbei ist wichtig, dass sich an den Theorie-Teil unmittelbar eine Praxis-Einheit anschließt. Außerdem informieren wir über unsere Kanäle regelmäßig über die Entwicklungen bei den neuen Spielformen. Es gibt Diskussionsrunden, in denen wir uns der Kritik stellen und Aufklärungsarbeit leisten. In der Qualifizierung wurden die Basis-Lehrgänge umgestellt und umfassen nun auch die neuen Spielformen. Geplant sind außerdem Umfragen, intern wie extern. Wir wollen die Meinung der Verbandsmitarbeiter, aber auch der Trainer, Eltern und Kinder. Es geht mit Blick auf die verbindliche Einführung der neuen Spielformen zur Saison 2024/2025 nur Miteinander.
Mehr Informationen zu den neuen Spielformen im Kinderfußball
FVN-Regelwerk für die neuen Spielformen im Kinderfußball