Fast 100 Videos pro Tag, insgesamt an die 1000 gefilmte Beiträge: Thorsten Wagener und Sonja Buchmann kamen kaum zum Arbeiten, Essen oder Schlafen. Ihre Mädels hielten sie nämlich ordentlich auf Trab – und das trotz oder gerade wegen des Corona-Lockdowns.
Der eine ist Coach der U 17-Juniorinnen des SV Spellen aus Voerde, die andere Trainerin derselben Altersklasse beim SV Brünen aus Hamminkeln - beide aus dem Kreis Rees/Bocholt. Weil schon so lange nicht mehr "normal", also auf dem Platz, trainiert werden durfte, und die beiden Teams von März 2020 an nur zwei Meisterschaftsspiele absolvieren konnten, hatten sie sich einen besonderen Wettbewerb ausgedacht: Ihre Spielerinnen sollten in kleinen Clips gegeneinander antreten. "Am Ende hatten wir fast 1000 Videos", berichtet "Toto" Wagener lachend.
Kleine Dribblings oder andere Moves am Ball, starke Planks oder einfach mal an der Wand sitzen - der Fantasie der "Vorturner" und ihrer willigen Teilnehmerinnen waren kaum Grenzen gesetzt. "Natürlich habe ich als Trainer dabei auch unheimlich viel gelernt und konnte mich auf kreative Art weiterentwickeln", gibt Thorsten Wagener zu. Sonja Buchmann ergänzt: "Ich habe vorher online beim DFB nachgeschaut, welche Übungen dort fürs Hometraining angeboten werden. Da konnte man sich viel Inspiration holen."
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 hatten die Spellenerinnen schon einmal intern eine ähnliche Challenge veranstaltet. In einem weiteren Wettstreit waren die Eltern der Kickerinnen gefragt. Als zum 1. November 2020 erneut die Sportplätze für den Amateurfußball geschlossen wurden, überlegte man am Oelberg, wie diese schöne Idee fortgesetzt beziehungsweise ausgeweitet werden könnte. Also fragten Thorsten Wagener und sein "Co" Martin Hochstrat beim SV Brünen an – und stießen ein paar Kilometer weiter auf offene Ohren. "Wir fanden die Idee super und haben gerne dabei mitgemacht", sagt Sonja Buchmann.
Und das waren die Voraussetzungen: Jeden Tag sollten die Spellener und Brüner Kickerinnen im Wettstreit eine von ihren Trainer*innen vorgegebene Übung nachmachen. Toto Wagener allerdings konnte selbst kaum mitmachen, wegen einer Entzündung im Zehgelenk war der Spellener Coach außer Gefecht gesetzt. Alles lief über WhatsApp ab, abends bis 21 Uhr wurde die jeweilige Übung in die Gruppe gestellt und bis 19 Uhr am anderen Tag war Einsendeschluss.
Mit sensationellem Erfolg: Voll motiviert, auf eine etwas andere Art und Weise gegen Mädels von einem anderen Verein gewinnen zu können, übertrafen sich die Spielerinnen aus Spellen und Brünen gegenseitig. Zehn Tage lang lief die Challenge, jeweils fünf Übungen aus dem Bereich Technik/Ballarbeit sowie Kraft/Körper-Koordination waren zu absolvieren. Immer ging es darum, möglichst viele Wiederholungen in einer bestimmten Zeit zu absolvieren. Am Ende wurden diese zusammengezählt und die Siegerin ermittelt.
"An einem der Tage musste unsere Kapitänin Maren eine Übung bei mir im Garten machen, da es zu Hause Platzprobleme gab, die Stratens wohnen ja bei uns um die Ecke. Sie hat dann hier ununterbrochen ein 'Stuhl-Dribbling' gemacht", berichtet Thorsten Wagener. "Alleine von der Aktion habe ich etliche Videos gemacht und in die Gruppe gestellt." Natürlich pushten sich die Spielerinnen gegenseitig stark oder wurden durch ihre Coaches noch mehr motiviert. "Einmal habe ich unserer Einzelgesamtsiegerin Ann-Christin Hochstrat nach einem morgens hochgeladenen Video geschrieben, dass Luisa besser gewesen wäre. Das war wie auf Bestellung, denn nach dieser Ansage hat sie nachmittags ein zweites Video mit mehr Wiederholungen in die Gruppe gestellt."
So erlebte es auch Sonja Buchmann. "Die einzelnen Übungen waren ja nicht ohne. Ob es beim Ball durch einen Stuhl pendeln lassen war oder beim Wandsitzen, was sehr viel Power erfordert hat: Die Mädels wurden immer besser", berichtet die SVB-Trainerin. "Wenn ich dann Zwischenergebnisse, unsere eigenen und die aus Spellen, in die Gruppe gepostet habe, dann ging noch einmal die Post ab."
Dass man beim Training in den heimischen vier Wänden gewisse Abstriche machen muss, kennt man nicht nur aus Corona-Zeiten. "Caro Förster ist einmal bei einer Kopfballübung in der Küche etwas zu Bruch gegangen, anschließend musste beim Köpfen ihre Mutter in Deckung gehen", verrät Thorsten Wagener lachend.
Für die Sichtung und Auswertung der Videos brachten der Großbetriebsprüfer und die Erzieherin täglich einige Stunden auf. Jede Mittagspause ging für die Challenge drauf, und natürlich war nach dem Feierabend auf der Arbeit zu Hause noch längst nicht Schluss. "Das war es wert", findet Sonja Buchmann, "die Mädels haben das super umgesetzt und als Team sind wir durch die Aktion gerade in diesen schwierigen Zeiten noch enger zusammengerückt – wenn auch vorerst nur virtuell."
Bis die U 17-Kickerinnen aus Brünen und Spellen wieder auf dem Platz wie gewünscht trainieren dürfen, wird es wohl noch etwas dauern. Bis dahin werden Sonja Buchmann und Thorsten Wagener ihre Spielerinnen weiter mit Onlineformaten trainieren. Wie gut das klappen kann, hat ihre außergewöhnliche Challenge gerade bewiesen.
Dieser Text ist zuerst am 28. Februar auf FUSSBALL.DE erschienen.