Es ist der 10. Oktober 2015, als Aserbaidschan in der EM-Qualifikation Italien empfängt. Fast 50.000 Zuschauer sind ins neue Olympiastadion in Baku gekommen. Für einen jungen Kicker aus Deutschland ist es der größte Tag in seiner Fußballerkarriere. Tugrul Erat wird in der 74. Minute eingewechselt, am 1:3 gegen den viermaligen Weltmeister kann auch der in Nettetal am Niederrhein aufgewachsene Sohn türkischer Eltern nichts mehr ändern.
Die Erinnerungen an ein Spiel gegen Stars wie Torhüterlegende Gianluigi Buffon oder Abwehrchef Giorgio Chiellini sind jedoch bis heute unvergessen. Gerade ist der inzwischen 30-Jährige zu seinem Heimatverein, dem Oberligisten SC Union Nettetal , zurückgekehrt. Im Interview erzählt "Tugi", wie er überhaupt in den Fokus des aserbaidschanischen Fußballverbandes geriet und wie er Italiens Star Andrea Pirlo zum gemeinsamen Foto bat.
FUSSBALL.DE: Tugrul Erat, Sie haben im Fußball einiges erlebt, waren für die Nationalmannschaft Aserbaidschans ebenso am Ball wie in der türkischen dritten Liga und bei deutschen Traditionsklubs wie Fortuna Düsseldorf, MSV Duisburg und zuletzt Rot-Weiß Oberhausen sowie Alemannia Aachen. Was machen Sie also in Nettetal?
Tugrul Erat: Hier bin ich aufgewachsen, nachdem meine Eltern damals aus der Türkei nach Deutschland gezogen sind und immer noch in Nettetal leben. Ich hatte zwar Anfragen von höherklassigen Vereinen, aber für mich ist es schön, jetzt wieder nach Hause zu kommen, nachdem ich viele Jahre unterwegs war. Trainer Andi Schwan kenne ich ja noch von früher, als er Jugendtrainer in Kaldenkirchen war. Mit ihm und dem Sportlichen Leiter Dirk Riether hatte ich gute Gespräche, sodass ich nach 13 Jahren bei anderen Klubs nun wieder für meinen Jugendverein spiele.
Ihr Comeback beim SC Union hatte eine gute und eine schlechte Seite.
Erat: Das kann man wohl sagen. (lacht) Wir haben 5:2 gegen Schonnebeck, eine der Topmannschaften in der Oberliga Niederrhein , gewonnen, aber leider habe ich in der 90. Minute die Gelb-Rote Karte gesehen. Dabei habe ich den Schiedsrichter nur gefragt, was er denn da pfeifen würde, als es in den Schlussminuten etwas hektisch wurde und er meiner Meinung nach zu viele Entscheidungen gegen uns getroffen hat. Das war mein erster Platzverweis im Seniorenfußball, darüber ärgere ich mich schon.
Wissen Ihre Mitspieler eigentlich, dass Sie einen Nationalspieler aus Nettetal neben sich in der Kabine haben?
Erat: Keine Ahnung, das ist auch nicht wichtig. Wir haben viele junge Spieler im Kader, es ist auch keiner mehr dabei, mit dem ich früher noch hier in der Jugend zusammen gekickt habe.
Wie kam es damals zustande, dass Sie plötzlich Nationalspieler Aserbaidschans wurden?
Erat: 2013 habe ich eine Einladung zur aserbaidschanischen U 21-Nationalmannschaft erhalten. Zu der Zeit habe ich in Düsseldorf gespielt und war gerade zu den Profis in die 2. Bundesliga hochgezogen worden. Taskin Aksoy, mein Trainer in der U 23 von Fortuna, hat den Kontakt zu Bernhard Lippert, der damals die U 21 Aserbaidschans trainiert hat, hergestellt. Ich hatte zwar nur den türkischen Pass, aber mein Großvater kommt aus dem Land, von daher war es kein Problem, zusätzlich die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Vorher habe ich ein paar Tage überlegt, ob ich das machen soll, weil ich insgeheim auf eine Einladung zur türkischen Nationalmannschaft gehofft hatte. Die Verlockung, international spielen zu können, war allerdings sehr groß - und dann ging mit Aserbaidschan alles sehr schnell.
Kannten Sie das Land und wie konnten Sie sich verständigen?
Erat: Nein, ich war vorher noch nie dort, aber die Türkei und Aserbaidschan sind wie Brüdervölker. Ich habe mich dort sofort wohlgefühlt, zumal die Menschen Türkisch verstehen und sprechen.
2014 durften Sie in einem Freundschaftsspiel gegen die Philippinen Ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft feiern - unter Berti Vogts als Chefcoach!
Erat: Ja, das war sehr spannend. Ich habe ihn auch ganz anders kennengelernt, als er in der Öffentlichkeit oft wahrgenommen wird. Berti Vogts war sehr nett zu mir, ganz locker und entspannt. Ein halbes Jahr später ist er allerdings von seinem Amt zurückgetreten, und ich bin zunächst auch nicht mehr in die Nationalmannschaft berufen worden.
Bis zum EM-Qualispiel gegen Italien.
Erat: Ja, das war ein absolutes Highlight. Ich, der kleine Nettetaler Dorfjunge, gegen Buffon, Chiellini, Bonucci und all die anderen italienischen Stars. Chiellini war wie aus Beton, wenn du gegen den angerannt bist, musstest du aufpassen, dass du dich nicht verletzt. (lacht). Wir haben zwar 1:3 verloren und ich durfte nur eine Viertelstunde mitspielen, aber das kann mir keiner mehr nehmen. Andrea Pirlo war leider nicht dabei, er hatte sich einen Tag vorher verletzt, aber wir haben ein Selfie zusammen gemacht.
Dieser Text ist zunächst am 14. August auf FUSSBALL.DE erschienen.