Als Willy Verheyen eingeschult wird, beginnt in Deutschland das dunkelste Kapitel der Geschichte. 1933 übernehmen die Nazis die Macht, und auch in Goch am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze beginnen schwierige Zeiten. Willy Verheyen ist noch ein Kind, das unbeschwert und spielerisch das Leben kennenlernen will, doch auch seine ersten Erfahrungen mit dem Fußball werden schnell von den Umwälzungen durch den Faschismus geprägt. „Ich habe gerne Fußball gespielt, mit meinen Kumpels von der Volksschule und später der Handelsschule“, erinnert sich der heute 96-Jährige (!). „Die haben gesagt: Du bist gut, geh‘ doch in den Verein. Aber das ging nur, wenn du in der Hitlerjugend warst.“
Am 5. Oktober 1926 im damals noch selbstständigen Asperden geboren, meldet sich Willy Verheyen im April 1943 beim SV Viktoria Goch 1912 an, mitten im Krieg. Noch wird aber auch Fußball gespielt, sein erster Einsatz für die A-Jugend der Rot-Schwarzen führt ihn zum TuS Kevelaer. „Wir sind mit dem Zug nach Kevelaer gefahren, Busse gab es nicht. Da mussten wir am Sonntagmorgen um 8 Uhr los, obwohl es bis Kevelaer nur ein paar Kilometer sind und für uns der Anstoß erst um 11 Uhr war. Aber die A- und B-Jugend sind zusammengefahren, das war damals so“, erzählt Willy Verheyen. „Vom Bahnhof ging es zu Fuß weiter zum Sportplatz, ein Ascheplatz. Und dann musste ich plötzlich ins Tor…“
Der jugendliche Willy hat bisher in der Freizeit immer im Feld gebolzt, doch der Gocher A-Jugend fehlt in Kevelaer der Keeper. Verheyen geht also brav in den Kasten - mit dem Ergebnis, dass es zur Halbzeit 3:0 für den Gegner steht. „Dann hat der Trainer gesagt: ‚Das hat keinen Zweck‘, und ich durfte in den Sturm gehen.“ Am Ende heißt es 3:3, dreifacher Torschütze: Willy Verheyen.
Statt weiter mit Freunden auf dem Platz zu kicken, muss er zur Front, zunächst nach Frankreich, wo dem jungen Soldaten im Kugelhagel im Oktober 1944 eine Patrone durch die Lunge schießt - „einen Tag vor meinem 18. Geburtstag“, weiß Willy Verheyen noch, als wenn es gestern gewesen wäre.
Zum Glück ist er nicht lebensgefährlich verletzt, und als ein halbes Jahr später die Alliierten Deutschland vom NS-Terror befreien, kehrt der junge Mann nach Goch zurück. Es ist der 8. Mai 1945. „Ich war zu der Zeit an der dänischen Grenze stationiert und bin von dort nach Hause gelaufen. Das hat drei Wochen gedauert“, erzählt Willy Verheyen. „Es ging ja nicht anders. Vieles war zerstört, Züge fuhren nicht und Busse gab es noch nicht.“ Hinüber ist auch der Sportplatz an der Marienstraße. „Britische Soldaten hatten dort ihren Standort. Als sie nach Kriegsende abgezogen sind, haben wir den Platz wieder hergerichtet“, berichtet Willy Verheyen.
Im Oktober 1945 findet in Goch das erste Fußballspiel nach dem Krieg statt, das Derby gegen den Stadtnachbarn Concordia. Auf dem Platz am Ball: Willy Verheyen. Insgesamt spielt er elf Jahre in der ersten Mannschaft der Viktoria, danach noch lange bei den Alten Herren. Erst mit 55 Jahren hängt der bei der Deutschen Bahn beschäftigte Beamte die Fußballschuhe an den Nagel. Der Gegner bei seinem letzten Spiel im Trikot der Rot-Schwarzen: der TuS Kevelaer, jener Verein, gegen den Willy Verheyen 38 Jahre zuvor als A-Jugendlicher zum ersten Mal für die Gocher stürmt.
Später engagiert sich der Fan von Borussia Mönchengladbach ehrenamtlich bei der Viktoria, übernimmt zunächst den Posten des zweiten Vorsitzenden und wird später Altherren-Obmann. Lange ist er der Sozialwart der Viktoria, diese Aufgabe liegt ihm besonders am Herzen. Auch in seinem Beruf bei der Bahn ist er seit vielen Jahren im sozialen Bereich tätig, unterstützt zum Beispiel Witwen von verstorbenen Beamten in behördlichen Angelegenheiten und besucht krank gewordene ehemalige Kollegen. 2014 wird Willy Verheyen mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, da ist er schon seit fast drei Jahrzehnten in Pension.Noch heute, mit seinen inzwischen 96 Jahren, besucht das Mitglied des Viktoria-Ehrenrats gelegentlich die Heimspiele der ersten Mannschaft auf dem Sportgelände an der Marienwasserstraße. Dafür müssen zwei Voraussetzungen passen: Es darf nicht zu kalt sein und der Bezirksligist muss auf dem Hauptrasen mit seiner kleinen Tribüne antreten. „Da kann ich sitzen“, verrät Willy Verheyen. Am anderen Spielfeld, dem Kunstrasen, gibt es keine Sitzplätze. An der Bande zu stehen, das ist für das ansonsten erstaunliche fitte älteste Vereinsmitglied der Viktoria nichts mehr.
Wenn es aber schönes Wetter ist und er die Jungs von seinem Stammplatz auf der Tribüne unterstützen kann, schließlich geht es um den Aufstieg in die Landesliga, dann wird sich Willy Verheyen wieder in seinen Wagen setzen und die etwa zwei Kilometer von seiner Wohnung zum Sportplatz fahren. „Laufen geht nicht mehr so gut“, sagt er.
Voraussichtlich im Dezember wird Willy Verheyen offiziell für 80 Jahre Mitgliedschaft beim SV Viktoria Goch geehrt. Zwar fand am 31. März die Jahreshauptversammlung im “Viktoria-Treff” statt, doch Karl-Heinz Bremer möchte die Verdienste des „ewigen Gochers“ noch einmal in einem besonderen Rahmen feiern. „Bei der JHV wäre das sonst untergegangen“, meint der Vereinsvorsitzende.
Und dann kann Willy Verheyen noch einmal erzählen, wie das damals in Kevelaer war, erst als Torsteher und dann als Torjäger.
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Dieser Text erschien zuerst am 2. Mai 2023 auf FUSSBALL.DE.